28.12.06

immer dasselbe

schon friedrich nietzsche machte sich so seine gedanken darüber, ob es nicht vielleicht normal oder gar richtig und wünschenswert sei, wenn gewisse dinge sich wiederholen. er nannte es die ewige wiederkehr des gleichen. und auch henri poincaré hat sich - wenngleich als mathematiker - in form seines wiederkehrsatzes mit dieser thematik beschäftigt.

große denker, große gedanken, und nun zu den oberösterreichischen nachrichten. ja, die gehören da ebenfalls mit rein, auch wenn man es kaum glauben mag. aber dort lesen wir brandaktuelle tips für den ritualisierten alltäglichen umgang mit kindern, es dreht sich also auch um sachen, die immer wiederkehren.
im unterschied zu nietzsche und poincaré, über deren gedanken man durchaus kontrovers diskutieren kann, sind die tips der OÖN jedoch einfach nur indiskutabel gruselig:
Stillen: Wenn das Baby schreit, zunächst versuchen, herauszufinden, ob ihm nicht etwas anderes fehlt.

aus welchem jahrhundert stammen solche äußerungen? wenn das baby schon so verzweifelt ist, das es sogar bereits schreit, dann hätte man mit dem "herausfinden, ob ihm nicht etwas anderes fehlt" doch vielleicht einen kleinen moment früher anfangen können, oder?
anders betrachtet: wieso sollte man dies überhaupt versuchen? ist es wirklich so schwer vorstellbar, dass das kind einfach nur stillen will - stillen um des stillens willen? dass es keinen anderen grund gibt für sein weinen? warum muss immer erst ein für die eltern nachvollziehbarer (und damit akzeptabler) grund herbeigesucht werden, um das stillbedürfnis des babys zu legitimieren? ein nicht ernährungsbedingtes saugbedürfnis ist nunmal nichts, das wir wirklich in gänze verstehen können, da wir als erwachsene ein solches bedürfnis nicht mehr haben - zumindest nicht in dieser form.

und das leitet auch gleich zur von den OÖN nachgeschobenen begründung über:
Wird das Stillen (oder später Süßigkeiten) als Trost eingesetzt, lernt ein Kind, Unmutsäußerungen über Nahrung zu regulieren.

gibt es da nicht einen klitzekleinen unterschied zwischen der süßen muttermilch und dem süßen süßkram? ja genau, ganz zufällig hat erstere etwas mit einer ganz bestimmen person zu tun (zur erinnerung: der mutter). ein paar bonbons zum maulstopfen und gejammerabwürgen kann jeder dem kind hinwerfen, aber das trösten durch stillen kann nur durch eine einzige person durchgeführt werden. also lernt das kind dabei doch etwas ganz anderes: die festigkeit und stabilität der beziehung zu einem anderen menschen, der ihm positive gefühle entgegenbringt und ihm beisteht. ist es nicht etwas wundervolles, wenn man jemanden hat, der einen liebt und der einem hilft, seine "unmutsäußerungen zu regulieren"? sollten wir unsere kinder nicht darin bestärken, wie wichtig es ist, gute soziale beziehungen zu anderen zu haben - um eben nicht die bedürfnisbefriedigung ersatzweise auf dinge (seien es süßigkeiten oder andere objekte) lenken zu müssen?

süßigkeiten und stillen miteinander zu vergleichen, das zeugt von großem unverständnis für das wesen und die bedeutung des stillens jenseits von ernährungsfragen (wieso stehen diese tips der OÖN eigentlich unter der überschrift "essrituale"?). durch solche falschen ratschläge werden mütter nur noch mehr verunsichert und trauen sich nicht, auf ihren instinkt zu hören.

und es gibt ja auch schon diverse "tolle" erfindungen, die diesem trend vorschub leisten:
ihr wisst nicht, wann ihr stillen sollt? feedy, die stilluhr, sagt es euch...
herjeeemine, sollte nicht das kind selbst uns sagen, was es braucht? ist es wirklich nötig, dass die liebe und zuwendung beim stillen mit der stoppuhr gemessen wird? warum muss den müttern der kontrollzwang eingeredet werden, dass sie doch gefälligst immer den überblick haben müssten, wann und wie lange und an welcher seite sie zuletzt gestillt haben? warum solch einen stechuhrterror in eine harmonische zweierbeziehung bringen, die sich erstmal entwickeln muss und ohnehin andauernd verändert? wieviele wachstumsschübe werden durch solches klammern an zahlen und abstände übersehen und dann mit einem "ach, es schreit schon wieder, ich hab wohl nicht genug milch und muss zufüttern" anderweitig gelöst?

noch perverser wird der maschinenwahn mit whycry. die babyfernbedienung kennt einfach nur 5 verschiedene "programme", die das baby gefälligst zu fühlen hat. wie weit wollen wir uns noch von unseren kindern entfernen, wenn wir uns von blinkenden gameboy-ähnlichen apparaturen sagen lassen, was sie angeblich gerade für ein bedürfnis haben?

ja, wir mütter sind keine übermenschen, auch wir wissen manchmal nicht, was das kind will, was es braucht und was wir für es tun können, damit es ihm besser geht. aber das ist normal. kein mensch kann in den kopf eines anderen hineinschauen, wir können immer nur versuchen zu interpretieren, was der andere uns mitteilen will. aber bittebitte, verlassen wir uns dabei auf unseren instinkt und gesunden menschenverstand, und nicht auf schwachsinnige tageszeitungstips und künstliche geräte, die allerhöchstens den männlichen technikspieltrieb befriedigen.

rituale sind gut und richtig, sie geben unserem leben halt und sicherheit. etwas absehen zu können, gewissheit zu haben über wiederkehrende abläufe ist etwas schönes, auch und gerade für kinder. aber man sollte es nicht übertreiben und eher im blick haben, dass auch die spontanen, nichtgeplanten dinge im leben ihren reiz und ganz eigenen wert haben. nicht alles ist berechenbar und vorhersehbar, und das ist auch gut so, denn ein determiniertes leben müsste doch auch furchtbar langweilig sein. kinder geben uns die chance, uns immer wieder auf etwas neues, unbekanntes einzulassen. leben ist veränderung.

also, schaut auch dieses jahr an silvester wieder "dinner for one" und genießt die "same procedure as every year", aber vergesst nicht, offen zu sein für neue erfahrungen, die bereichern und den horizont erweitern. oder um es mit den worten des französischen denkers jean de la bruyère zu sagen:
„Die Kinder kennen weder Vergangenheit noch Zukunft, und - was uns Erwachsenen kaum passieren kann - sie genießen die Gegenwart.“

Comments:
tolles bruyère-zitat, feedy hat mich mal wieder auf den boden der tatsachen zurückgeholt und auch ansonsten ein gelungener post. lg aus sachsen-anhalt! doreen
 
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